Archiv der Kategorie: Riesen

Der verwechselte Christophorus

Da will man nur eben die Einleitung zu einem Kapitel schreiben und schonmal ein paar Quellen zurechtlegen … und auf einmal verbringt man den ganzen Morgen damit, einen weitreichenden Fehler nachzuvollziehen. Da ich jetzt gute zwei Stunden damit zugebracht habe, die Angaben zu prüfen, dokumentiere ich dies nun hier, in der Hoffnung, dass die Arbeit dem nächsten Forschenden erspart bleiben möge.

Es gibt drei mittelhochdeutsche Christophoruslegenden, die konsequenterweise A, B, und C heißen. A und B wurden Ende des 19. Jahrhunderts von Anton Schönbach in der ZfdA ediert. Sehr unglücklich für die Untersuchung ist eine häufige Verwechslung der mittelhochdeutschen Christophoruslegenden A und B, die auf einem Fehler Rosenfelds im Verfasserlexikon beruht.[1] Über einen Eintrag im Handschriftencensus bin ich auf diesen Fehler aufmerksam geworden.

„Der Handschriftencensus bezeichnet die beiden Christophoruslegenden-Fassungen A und B nach Schönbach (und nicht nach Rosenfeld, der u.a. im 2VL die Benennungen der beiden Fassungen verwechselt hat).“[2]

Der Artikel Rosenfelds vertauscht allerdings nicht die Bezeichnungen, wie der Handschriftencensus es festhält, sondern die lediglich die Literaturangaben von A und B. Die Inhaltsangaben stimmen. Hammer betont: „Darauf sei eigens hingewiesen, zumal der Herausgeber Schönbach die Bezeichnungen A und B gerade umgekehrt verwendet.“[3] Es empfiehlt sich also, sich an der Bezeichnung der Legenden zu orientieren, die Rosenfeld in seiner Monographie verwendet, und die auch Hammer und Dörrich verwenden.[4] In der Monographie Rosenfelds sind die Bezeichnungen jedoch korrekt.[5]

B ist in einer aus dem 15. Jahrhundert stammenden Prager Handschrift überliefert. Der Text wird aufgrund der Erwähnung von Palermo als Sitz des Kaisers auf den Beinng des 13. Jh. datiert.[6] Die ältere Fassung B ist also warscheinlich noch in der ersten Hälfte des 13. Jhs. enstanden, also noch vor der Legenda Aurea. Die jüngere Fassung A ist in zwei Handschriften überliefert und wahrscheinlich erst im 15. Jh. enstanden.[7]

 

 

[1] Hans-Friedrich Rosenfeld: ‚Christophorus‘. In: VL 1, Sp. 1230-1234.

[2] http://www.handschriftencensus.de/6556

[3] Hammer, Andreas: Erzählen vom Heiligen. Narrative Inszenierungsformen von Heiligkeit im Passional, Berlin 2015. S. 393.

[4] Schönbach, Anton: ‚Christophorus B‘. In: ZfdA 26 (1883), S. 20-84. Prag, UB, cod. XVI G 19, 2002 Verse. Schönbach, Anton: ‚Christophorus A‘. In: ZfdA 17 (1874), S. 85-141. St. Florian, Stiftsbibl., Cod. XI 276; Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 2953, 1630 Verse (nicht 1650 wie im VL fälschlich steht). Vgl. Dörrich, Corinna: Konfigurationen des Weges in der Christophorus-Legende, in: In: Zeitschrift für deutsche Philologie 132 (2013). S. 353-382.

[5] Rosenfeld, Hans-Friedrich: Der Hl. Christophorus. Seine Verehrung und seine Legende. Eine Untersuchung zur Kultgeographie und Legendenbildung des Mittelalters, Leipzig 1937.

[6] Rosenfeld, Der Hl. Christophorus S. 478f.; ders., Christophorus‘ Sp. 1232. Dörrich, S. 357.

[7] Vgl. Hammer: Erzählen vom Heiligen, S. 393. „Die Datierungsvorschläge für den bairisch-österreichisch gefärbten Text reichen vom 12. bis in das 15. Jahrhundert;“ (Dörrich, S. 356), vgl. Rosenfeld, Der Hl. Christophorus S. 481f.; ders., ‚Christophorus‘, Sp. 1233f.


Workshop ‚Die Lesbarkeit von Helden‘

Im August wird in Tübingen ein Workshop stattfinden, der nach der Existenz einer Heldensemiotik fragt.

Heldenfiguren sind wandelnde Zeichenkomplexe – diese These steht im Zentrum des interdisziplinären Workshops. Von Prozessen des Erkennens über visuelle und/oder akustische Daten über Insignien, die die memoria von Heldentaten aufrechterhalten, bis hin zum manipulativen Umgang mit kommunikativen Codes sind Zeichen wesentliche Bestandteile von Heldenfiguren und ihrer Lebenswelt.
Das Verhältnis von Held und Zeichen ist jedoch nicht immer klar zu bestimmen, insbesondere weil es auch unverständliche oder irritierende Zeichen geben kann. Solche Zeichen erschweren dem Rezipi-enten die ‚Lesbarkeit‘ von Helden. Hier setzt der Workshop an. Er widmet sich einer breiten Varianz ambiger Zeichenkon-stellationen, die als oftmals irritierender Bestandteil der Figurenkonzeption ernst genommen oder aber mithilfe einer konsequent historischen Lesart als Brüche identifiziert werden, die erst durch einen modernen Blick auf die Texte entstehen. Die fächer- und medienübergreifende Un-tersuchung dieser Irritationsmomente, die aus mehrdeutigen sowie ‚uneindeutigen‘ Zeichen(-komplexen) resultieren, bildet den Kern des Workshops.

Ich freue mich schon sehr darauf, mein Kapitel zur Semantik von Helden und Riesen vorzustellen. Vorläufig heißt der Vortrag „Riesen und Helden. Erklärungsmodelle für eine unfeste Dichotomie“. Es wird sich zeigen, ob der Titel bestehen bleibt oder sich durch hoffentlich anregende Diskussion noch verändern wird.

Das  Programm Lesbarkeit von Helden kann man hier einsehen. Interessierte sind herzlich eingeladen und können sie bis zum 30.6. bei Florian Nieser anmelden.


Riesentagung in Potsdam

Ronny F. Schulz  und Silke Winst organisieren im März die interdisziplinäre Tagung zu Riesen in der mittelalterlichen Literatur. Endlich findet eine Tagung zu meinem Dissertationsthema statt!

Von Riesen und Riesinnen wird in mittelalterlicher Literatur häufig erzählt. In verschiedenen literarischen Gattungen erscheinen diverse Riesen: Sie agieren als Antagonisten des Helden, können jedoch ebenso als seine Verbündeten oder gar als ‚Spiegelung‘ des Protagonisten erscheinen. Erzählt wird von beweglichen Grenzen zwischen dem ‚Menschlichen‘ und dem ‚Außermenschlichen‘, die über grundlegende Vorstellungen von Identität Aufschluss geben. Die Tagung soll sich diesen wichtigen Figuren mittelalterlicher Literatur mit neuesten kulturwissenschaftlichen und narratologischen Ansätzen nähern. Zudem sollen Riesinnen und Riesen in einem interdisziplinären Zusammenhang verortet werden: Nicht nur die deutschsprachige Literatur steht im Zentrum der Betrachtung, sondern auch skandinavische, französische, englische und keltische Texte werden in den Blick genommen.

Die Beiträge der Tagung behandeln Fragen nach Differenz und Fremdheit, Gender und Körper sowie Religion, Herrschaft und Gewalt, aber auch nach Raumvorstellungen und Genealogie, die mit den Riesinnen und Riesen verbunden sind. Zudem werden die spezifische Literarizität dieser Entwürfe und die narratolo­gischen Implikationen der Riesenfiguren in mittelalterlicher Literatur untersucht.

Ich freue mich schon sehr auf die Vorträge und vor allem die Gespräche. Ich scheine nicht allein zu sein: Riesen sind in der Forschung zur Zeit wohl wieder  en vogue. Der dazugehörige Tagungsband soll im Herbst erscheinen.

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2. Mediävistisches Forschungskolloquium Kiel/Hamburg

Am Freitag, 20.1.2017 findet das 2. Mediävistische Forschungskolloquium Kiel/Hamburg statt, statt diesmal in Kiel. Interessierte sind herzlich eingeladen!

Ort: CAU Kiel, Germanistisches Seminar, Leibnizstr. 8, Raum 401

Programm:

09.00-09.30   Ankunft und Begrüßung

09.30-11.00   Hannah Rieger: „Der Fuchs als metapoetische Figur. Zur Brunnenepisode im Reynke de Vos (1498)“ (Diss)

Lena van Beek: „Riesen im Alten Testament – Zur Rezeption der Nimrod-Figur im Mittelalter“ (Diss)

11.00-11.30   Kaffeepause

11.30-13.00   Renke Kruse: „Lehren aus dem Mückenkrieg – Die Prosaglossen Balthasar Schnurrs von Lendsiedel (1612)“ (Diss)

Agnes Heutmann: „Die Bedeutungsverschiebungen von triuwe in der höfischen Literatur(MA)

13.00-14.00   Mittagspause

14.00-15.30   Margit Dahm: Projektvorstellung

Anabel Recker: „Poetologische meisterliche Lieder. Konzept für eine textzentrierte Hybrid-Edition“ (Diss)

15.30-16.00   Kaffeepause

16.00-18.30   Svenja Fahr: „Formen unzuverlässigen Erzählens in deutschsprachigen Erzähltexten des Mittelalters“ (Diss)

Britta Wittchow: „Klingendes Gedenken: Loblieder als Informationsträger im Apollonius von Tyrland“ (Diss)

Jöran Balks: „Intersektionale Zuordnungsprobleme in Artusromanen um 1200“ (Diss)

19.00 Abendessen


Verzauberte Riesen

Dies sollte ursprünglich ein Teilkapitel in meiner Dissertation ‚Riesen in der Literatur des Mittelalters‘  werden. Da ich aber keine Beweislage ergründen konnte, die mich zufriedenstellt, wird es nun ein kleiner spekulativer Blogeintrag über zwei großartige Texte: ‚Daniel vom blühenden Tal‘ (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts)  und ‚Sir Gawain and the Green Knight‘ (um 1400).

In der Regel ist die Riesenstatur der Figuren ein Faktum a priori. Es scheint sich jedoch die Möglichkeit abzuzeichnen, dass die Riesengröße nicht immer eine Eigenschaft sein muss, die von Geburt an mit der Verfasstheit der Figuren verbunden ist, sondern dass der Körper (eines Menschen) auch bis ins Riesenhafte vergrößert werden kann. Mir sind aus der mittelalterlichen Literatur zwei Fälle bekannt, in denen mithilfe magischer Kräfte die Größe und auch andere Eigenschaften von Körpern verändert werden können.

 

 ‚Daniel vom blühenden Tal‘: Zwei vergrößerte Menschen

 

Im ‚Daniel vom blühenden Tal‘ des Strickers berichtet der Riese, der an den Hof König Maturs stilvoll auf einem Kamel einreitet, von seiner Herkunft aus dem Land Kluse und enthüllt im Zuge seiner Herausforderung auch, wie er zu seiner Größe gekommen ist.

 

Der meister der daz tier gôz

der hât mich gemachet sus grôz

und einen bruoder den ich hân.

darumbe hât erz getân,

wie sint beidiu siniu kint.

wand die triuwe grôz sint

die er uns beiden schuldic ist,

darumber hât uns sîn list

gemachet beidiu alsô hart

daz unser ietweder nie wunt wart. (‚Daniel‘ 761-770)[1]

 

Sein Vater (der meister) hat ihm und seinen Bruder sowohl ihre Größe als auch Unverwundbarkeit verliehen. Der in der Forschung Riesenvater Genannte ist aber selbst ist aber von kleinerer Statur als seine Söhne: swie alt er wider mir sî / und wie kleine dâ bî, (‚Daniel‘ 778f.) Er ist also selbst kein Riese, wie in der Forschung schon verstanden worden ist,[2] sondern es wird im Text betont, dass er weder zu klein noch zu groß sei: er was ze wênic noch ze grôz (‚Daniel‘ 6910). Die Figur wird als zauberkundig dargestellt, dem alten wunderlîch man (‚Daniel‘ 6933), der grauweiße Locken (‚Daniel‘ 6913) und einen stap (‚Daniel‘ 6915) trägt, wird mehrfach liste attestiert (bspw. ‚Daniel‘ 768, 783, 6990). Seine übernatürliche Geschwindigkeit und seine übernatürlichen Fähigkeiten bzw. Zauberkunst werden u.a. während der Entführung König Artus‘ geschildert: sîn vater liefe sêre / und kunde ouch liste mêre / denne in der werlte dehein man (‚Daniel‘ 6989-6991) Da erzählt wird, dass er seine Söhne vergrößert hat und aber selbst von normaler Statur ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Söhne vorher kleiner waren, er also Wesen (Menschen?) normaler Größe magisch zu Riesen transformiert hat – aus triuwe (‚Daniel‘ 767).

Tina Boyer sucht in ihrer aktuellen Publikation[3] ebenfalls die Frage zu beantworten, ob es sich beim Riesenvater und einen Riesen handelt. Die ihm zugeschriebenen Attribute deuten für sie eher auf Zwergencharakteristik hin;[4] dies führt sie nicht weiter aus, aber weitergedacht könnte man dem mit liste und dem Entführungsmotiv teilweise zustimmen (auch wenn Zwerge traditionell eher Frauen entführen). „However, while his son is of great and intimidating stature, the father is neither too tall nor too small. As in Orendel and also in the Eckenlied we have giants of different sizes. A giant’s size is only emphasized when it servers symbolical value in a narrative.“[5] Die Riesen im ‚Orendel‘ haben zunehmende Größe, um die zunehmende Bedrohung der belagerten Stadt Jerusalem zu betonen, so Boyer. Im ‚Daniel‘ geschehe das Gegenteil: Der Riesenvater sei eine größere Bedrohung wegen seiner list, auch wenn er kleiner ist als seine Söhne.[6] Boyer definiert ihn implizit trotzdem als Riesen, wobei sich mir die Logik an dieser Stelle nicht erschließt. Sie kommentiert auch die Verzauberung seiner Söhne: „He used all his skill to give them impenetrable skin to keep them from harm.“[7] Aber sie berücksichtigt nicht die oben zitierte Passage (‚Daniel‘ 761-770), dass der meister sie nicht nur unverwundbar, sondern auch groß gemacht hat.

Man kann zustimmen, dass die ambivalenten Attribute ihn weder als Riese noch als Zwerg kategorisieren lassen. Ich möchte mich jedoch dagegen aussprechen, ihn implizit als Riesen zu definieren. Weder der Vater noch die Söhne werden als ursprünglich groß beschrieben. Da der Vater zwei normal große Söhne gezeugt hat, ist es logisch, dass er selbst (untransformiert) genau so groß wie ein Mensch ist. Es gibt zwar unterschiedlich große Riesen, aber die sind immer noch relational größer als ein Mensch. Die zwei Riesen sind magisch transformierte Menschen, der Vater ist eine zauberkundige, aber menschliche Figur.

 

‚Sir Gawain and the Green Knight‘: Ein vergrößerter, grüner Mensch

 

Das zweite Beispiel findet sich nicht in der mittelhochdeutschen Literatur, sondern im unikal überlieferten mittelenglischen Artusroman ‚Sir Gawain and the Green Knight‘ (um 1400).[8] Dort ist eine ähnliche Transformation zu beobachten, wenn auch in ganz anderen Zusammenhängen. Der Herausforderer Gawains, der Grüne Ritter, der während des Weihnachtsfestmahls an den Artushof kommt, wird als ein monströses Wesen beschrieben.[9]

 

When there pressed in from the porch an appalling figure,

Who in height outstripped all earthly men.

From throat to thigh he was thickset and square;

His loins and limbs were so long and great

That he was half a giant on earth, I believe,

Yet mainly and most of all a man he seemed,

And the handsomest of horsemen, though huge, at that;

For though at back and at breast his body was broad,

His hips and haunches were elegant and small,

And perfectly proportioned were all parts of the man,

As seen.

Amazed at the hue of him,

A foe with furious mien,

Men gaped, for the giant grim

Was coloured a gorgeous green. (‚Sir Gawain and the Green Knight‘)[10]

 

Þer hales in at þe halle dor an aghlich mayster,

On þe most on þe molde on mesure hyghe;

Fro þe swyre to þe swange so sware and so þik,

And his lyndes and his lymes so longe and so grete,

Half etayn in erde I hope þat he were,

Bot mon most I algate mynn hym to bene,

And þat þe myriest in his muckel þat myȝt ride;

For of bak and of brest al were his bodi sturne,

Both his wombe and his wast were worthily smale,

And alle his fetures folȝande, in forme þat he hade,

ful clene;

For wonder of his hwe men hade,

Set in his semblaunt sene;

He ferde as freke were fade,

And oueral enker-grene. (‚SGGK‘, Vv. 136-150.)[11]

 

 

Dieses Wesen und vor allem seine grüne Färbung hat der Literaturwissenschaft viele Rätsel aufgegeben; auf diese Kontroversen soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.  Bemerkenswert ist seine Größe; er wird als Half etayn (‚SGGK‘ V. 140),[12] von altenglisch eoten beschrieben, reitet jedoch noch auf einem Pferd. Er überragt alle anderen um mehr als einen Kopf: Þe stif mon hym bifore stod vpon hyȝt / Herre þen ani in þe hous by þe and more. (‚SGGK‘ 1967, Vv. 332f.) The stout man before him there stood his full height, / higher than any in that house by a head and yet more (‚SGGK‘  1990, S. 26). Am Ende der Erzählung stellt sich jedoch heraus, dass es sich bei diesem Wesen gar nicht um einen Riesen, sondern um einen Menschen handelt: den Burgherren Bertilak de Hautdesert. Er enthüllt seine Identität und erklärt, wie er zu der übergroßen Statur gelangte:

 

Bertilak of the High Desert I am called here in this land.

I was entirely transformed and made terrible of hue

Through the might of Morgan the Fay, who remains in my house.

Through the wiles of her witchcraft, a lore well learned,

Many of the magical arts of Merlin has she aquired. (‚SGGK‘ 1968, 121f.)

 

‚Bertilak de Hautdesert I hat in þis londe.

Þurȝ myȝt of Morgne la Faye, þat in my hous lenges,

And koyntyse of clergye, bi craftes wel lerned,

Þe maystrés of Merlyn mony hatz taken–

For ho hatz dalt drwry ful dere sumtyme

With þat conable klerk, þat knowes alle your knyȝtez

at hame; (‚SGGK‘ 1967, Vv. 2444-2451)

 

Die zauberkundige Morgane hat ihn mit magischen Kräften verwandelt, um den Artushof auf die Probe zu stellen: She made me go in this guise to your goodly court / to put its pride to the proof […] she put this magic upon me[13] (‚SGGK‘  1990, S. 90). Sie ist in der Lage, ihr eigenes und das Aussehen anderer zu transformieren, ähnlich wie es der Riesenvater mit liste auch im ‚Daniel‘ bewerkstelligt. Bertilaks Verzauberung wird aufgehoben, die der Riesen im ‚Daniel‘ ist hingegen permanent und bleibt auch mit ihrem Tod bestehen.

Für diese noch spärlich besetzte Kategorie wird der Begriff verzauberte Riesen vorgeschlagen. In beiden Fällen werden Körper magisch ins Riesenhafte vergrößert und weitere Veränderungen des Äußeren vorgenommen, entweder z. B. die grüne Färbung oder die Unverwundbarkeit. Für einen derartigen Vorgang bleibt der ‚Daniel‘ die einzige Belegstelle in der mittelhochdeutschen Literatur. Für die mittelenglische Literatur benutzt Cohen den Begriff enchanted giants:

Mainly a late, English addition to romance, enchanted giants are men who through some work of magic have been transformed in size and nature out of their humanity and into the gross flesh of gigantism. What few of these stories exist in English are interrelated and center around the redemptive power of Gawain’s courtesy and are therefore analogues of Sir Gawain and the Green Knight.[14]

 

Das Motiv scheint also auch in der mittelenglischen Literatur relativ singulär zu sein und sich derivativ zu ‚SGGK‘ zu verhalten. Eine Verbindung der angelsächsischen und kontinentalen Erzählungen ist natürlich schwer belegbar. Gemutmaßt wurde in der Forschung auch schon, dass die Entführung Artus‘ auf dem Berg durch den Riesenvater im ‚Daniel‘ von den entsprechenden Episode in Geoffreys ‚Historia Regum Britanniae‘ inspiriert sein könnte. Helmut Birkhan sieht die Möglichkeit, dass der Stricker mit lateinischen oder altfranzösischen Versionen der ‚Historia Regum Britanniae‘ (1136) in Kontakt gekommen sein könnte.[15] Die Riesenkämpfe Arthurs mit dem Riesen von Mont Saint Michel und dem Riesen Ritho bieten Parallelen,[16] wie das Motiv der Entführung auf den Berg (hier allerdings Artus als Entführter, nicht als Retter der Entführten). Ob diese Episoden  etwas miteinander zu tun haben, kann nicht festgemacht werden.

So muss auch eine Verbindung der beiden Vorkommnisse der verzauberten Riesen in ‚Daniel‘ und ‚SGGK‘ vorerst Spekulation bleiben. Es soll an dieser Stelle keine explizite Verbindung der beiden räumlich, sprachlich und auch zeitlich voneinander getrennten Texte unterstellt werden. Jedoch kann das eher ungewöhnliche gemeinsame Motiv der magischen Riesen herausgestellt werden, welches zum Nachdenken anregt.

[1]Zitiert nach: ‚Daniel von dem blühenden Tal‘. Hg. u. übers. von Michael Resler. Cambridge: Brewer, 2003 (Arthurian Archives IX). Im Folgenden ‚Daniel‘.

[2]Vgl. Rosenhagen, Gustav: Untersuchungen über Daniel vom Blühenden Tal vom Stricker. Kiel: C. Schaidt, 1890. S. 72.

[3] Tina Marie: The Giant Hero in Medieval Literature. Leiden/Boston: Brill, 2016 (Explorations in Medieval Culture 2).

[4]Vgl. Boyer: The Giant Hero in Medieval Literature, 2016. S. 111.

[5]Boyer: The Giant Hero in Medieval Literature, 2016. S. 112.

[6]Vgl. Boyer: The Giant Hero in Medieval Literature, 2016. S. 112.

[7]Boyer: The Giant Hero in Medieval Literature, 2016. S. 113.

[8]Vgl. Sir Gawain and the Green Knight. Hg. von John Ronald Reuel Tolkien. 2. Auflage, überab. von Norman Davis. Oxford: Clarendon Press 1967. Introduction, xi.

[9]Vgl. u.a. Williams, David: Deformed Discourse. The Function of the Monster in Mediaeval Thought and Literature, Exeter: Univ. of Exeter Press, 1996. S. 269.

[10]Sir Gawain and the Green Knight. Übersetzt von Brian Stone. Harmondsworth [u.a.]: Penguin Books 1968. S. 28f. Im Folgenden zitiert als ‚SGGK‘ 1968.

[11]Sir Gawain and the Green Knight. Hg. von John Ronald Reuel Tolkien. 2. Auflage, überarb. von Norman Davis. Oxford: Clarendon Press 1967. Im Folgenden zitiert als ‚SGGK‘ 1967.

[12]Tolkien wählt in seiner posthum veröffentlichten Übersetzung hier statt giant ‚troll‘ (that half a troll upon earth I trow that he was. Sir Gawain and the Green Knight. Übers. von John Ronald Reuel Tolkien, Hg. von Christopher Tolkien. London: HarperCollins, 1990. S. 21. Im Folgenden zitiert als ‚Sir Gawain 1990). In der Ausgabe von 1967 bietet er im Kommentar auch folgende Variante an: „Half a giant on earth I believe he was, but at any rate the biggest of men I declare him to be, and at the same time the shapeliest of stature that could ride.“ (Vv. 140-142; ‚SGGK‘ 1967.)

[13]Im Original: With glopnyng of that þat ilke gome þat gostlych speked (‚Sir Gawain‘ 1967, V. 2461). Stone übersetzt:  To rob you of your wits she has bewitched me this way (‚Sir Gawain‘, 1968. S. 122).

[14]Cohen, Jeffrey Jerome: Of Giants. Sex, Monsters, and the Middle Ages. Minneapolis: Univ. of Minnesota Press, 1999. S. 159.

[15]Vgl. Birkhan, Helmut: Motiv und Handlungsgeschichten in Strickers Daniel. In: German Narrative Literature of the Twelfth and Thirteenth Centuries: Studies presented to Roy Wisbey on His Sixty-Fifth Birthday. Hg. von Volker Honemann. Tübingen: Niemeyer, 1995. 363-390. S. 366.

[16]Vgl. auch Boyer: The Giant Hero in Medieval Literature, 2016. S. 103.